Das moderne Leben in den Industrieländern bietet nur noch wenige natürliche Reize. Es ist in vielen Bereichen von Konstanz geprägt. Gleichmäßige Temperaturen, ein permanentes Überangebot an Nahrung und Getränken sowie wenig körperliche Anstrengung. Gleichzeitig schrumpft unsere Komfortzone immer weiter. Doch gerade die dosierte Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Reizen und Stressoren bietet ein großes Potential – gesundheitlich wie mental. Im Folgenden werde ich über die Effekte von Kältereizen auf die Gesundheit berichten.
Kälteanwendungen in der Geschichte
Kälte zur Verbesserung der Gesundheit anzuwenden oder auch zur Abhärtung ist nicht erst seit Wim Hof bekannt. Bereits 1886 beschreibt Sebastian Kneipp die gezielte Anwendung von Kältereizen in seinem Buch „Meine Wasserkur“. Auch die schwedischen Kaltbadehäuser zeigen die fast 200 Jahre alte Tradition des Badens in kaltem Wasser. Und sogar Hippocrates soll kalte Wasserwendungen zur Behandlung von Krankheiten genutzt haben.
Effekte von Kältereizen
Hier ist zunächst der Neurotransmitter Dopamin zu nennen. Im Volksmund auch als Glückshormon bezeichnet, hat Dopamin zahlreiche Funktionen. Egal ob es das Stück Schokolade ist, der Kauf von etwas Besonderem, Instagram Videos, Drogen oder Sex: immer wird Dopamin freigesetzt. Je stärker die Ausschüttung von Dopamin in kurzer Zeit, desto stärker ist auch der Effekt der Befriedigung bzw. des Vergnügens. Fatal ist dieser Effekt bei harten Drogen. Hier wird das Belohnungssystem irreversibel geschädigt.
Gleichzeitig zur Befriedigung wird allerdings auch ein Schmerzsignalweg in Gang gesetzt. Die Zufriedenheit sinkt und wir wollen mehr. Mehr Schokolade, mehr Einkaufen, mehr Videos… unser Antrieb und unsere Motivation werden getriggert. Evolutionär ist das wichtig. Nur so hatten und haben wir immer den nötigen Antrieb Überlebenswichtiges zu tun. So ist es auch nicht verwunderlich, dass Mäuse denen man die dopaminergen Neuronen deaktiviert nicht mehr essen und trinken.
Aktiviert man nun die Schmerzsignalwege über Kälte wird ebenfalls die Dopaminausschüttung deutlich gesteigert. Wir werden fokussierter, motivierter und haben einen stärkeren Antrieb und das ohne die negativen Folgen wie es bei Drogenkonsum der Fall ist. Wer sich bereits regelmäßig der Kälte aussetzt wird trotzdem den leichten Suchtcharakter der Kälteanwendungen kennen. Daher gilt: es sollte nicht übertrieben werden und auch die Kälte maßvoll „konsumiert“ werden.
Beige und braune Fettzellen
Auch die Hormone Adrenalin und Noradrenalin werden verstärkt freigesetzt. In Studien sind Anstiege von bis zu 530% beschrieben. Das durch die Kältereize freigesetzte Noradrenalin bindet an beige und braune Fettzellen und stimuliert dort die Thermogenese, also die Erzeugung von Wärme. Anders als weiße Fettzellen besitzen braune/beige Fettzellen nämlich zahlreiche Mitochondrien und können Fettsäuren sowie in geringerem Umfang Glukose nutzen, um Wärme zu erzeugen.
Vereinfacht dargestellt:
- Kältereize
- mehr beiges/braunes Fettgewebe
- Fettsäuren werden verstärkt verbrannt bzw. der Kalorienverbrauch steigt
Stoffwechselaktivität
Die Kältereize erhöhen die Wärmeerzeugung im braunen und beigen Fettgewebe, erhöhen also unsere Stoffwechselaktivität und helfen beim Abnehmen. Darüber hinaus gibt es positive Auswirkungen auf den Blutzuckerspiegel durch die Fähigkeit der braunen/beigen Fettzellen Glukose zu nutzen.
Abhärtung und mentale Effekte
Der Gedanke der Abhärtung ist eng mit Kälteanwendungen insbesondere dem Eisbaden verbunden. Abhärtung zielt hier auf mehrere Bereiche ab wie die Verringerung der Infektanfälligkeit, die Anpassung an Umwelteinflüsse, die Bildung von Charaktereigenschaften sowie einer erhöhten Widerstandskraft.
Jede kalte Dusche und jedes Eintauchen in kaltes Wasser stellt ein Hindernis dar, welches überwunden wird. Je mehr Barrieren wir überwinden, desto mehr profitieren wir auch mental von der Kälte. Wir werden es gewohnt mit herausfordernden Situationen umzugehen.
Bezüglich der Infektanfälligkeit gibt es bisher wenige aussagekräftige Studien. Buijze und MitarbeiterInnen Konnten zeigen, dass kaltes Duschen über einen Zeitraum von mindestens 30 Tagen das Fernbleiben von der Arbeit aufgrund von Krankheit um 29% verringerte. Noch Stärker war der Effekt wenn neben kalten Duschen auch regelmäßig Sport getrieben wurde. Bei einer Befragung von erfahrenen Eisbadern gaben 40% eine gesenkte Infektanfälligkeit an, gefolgt von der Steigerung des Wohlbefindes und weniger Frieren.
Weitere Effekte
In diesem Artikel habe ich nur einen Teil der Effekte beschrieben, da dies ansonsten den Umfang gesprengt hätte. Zu nennen ist auf alle Fälle noch die Regulation des Transkriptionsfaktors NRF2 durch Kältereize, der wiederum die Aktivität von etwa 200 Genen steuert. Es wird deutlich wir komplex die physiologischen Vorgänge im Körper auf Kältereize sind und es wird noch viele Studien benötigen um die biochemischen Abläufe im Detail zu verstehen.
Anwendungstipps
Bei allen Kälteanwendungen gilt: langsam herantasten und dem Körper Zeit geben um sich anzupassen. Es muss nicht gleich das Eisbad sein. Insbesondere sollte das eigene Empfinden beachtet werden und kein Wettkampf untereinander stattfinden.
Den idealen Einstieg in Kälteanwendungen bietet das kalte Duschen. Am besten startet man mit kurzem Warmduschen, gefolgt von 30 Sekunden kaltem Wasser. Von Mal zu Mal wird dann die Temperatur verringert sowie die Dauer verlängert.
Bei Bluthochdruck, Arteriosklerose, Herzrhythmusstörungen und chronischen Erkrankungen sollte auf jeden Fall vor dem Beginn der Kälteanwendungen ein Arzt aufgesucht werden und das Vorhaben besprochen werden. Bei akuten Infekten muss auf Kältereize verzichtet werden. Und bitte nicht vergessen, wer zu lange in zu kaltem Wasser bleibt kann ernsthaft unterkühlen.
Kälteanwendungen im Personal Training
Kälte für sich zu entdecken kann ein schwieriger, gar unüberwindbarer Schritt sein. Hier kann ich im Personal Training die notwendige Motivation liefern und den Start in diese großartige Betätigung erleichtern. Zusätzlich gibt es weitere Dinge zu beachten, wie etwa die Uhrzeit der Kälteanwendung oder die Kombination mit anderen Gewohnheiten wie z.B. Fasten oder Kaffeekonsum. In jeden Fall wird der Start der Kälteanwendungen ein Schritt in ein „artgerechteres“ und gesünderes Leben sein.
Mehr Infos zu Kälteanwendungen gibt es im Beitrag Krafttraining & Kälteanwendungen.
Literatur
- Browning of white fat: agents and implications for beige adipose tissue to type 2 diabetes. Journal of Physiology and Biochemistry, 2019
- Braunes Fettgewebe: Die neue Waffe gegen Adipositas? Journal für Klinische Endokrinologie und Stoffwechsel – Austrian Journal of Clinical Endocrinology and Metabolism, 2014
- Dopamine Nation. Dr. Anna Lembke, 2021
- Das Buch vom Winterschwimmen. Prof. Reiner Brenke, 1996
- Dopamine-deficient mice are severely hypoactive, adipsic, and aphagic. Cell, 1995
- Human physiological responses to immersion into water of different temperatures. Eur J Appl Physiol, 2000
- The Effect of Cold Showering on Health and Work: A Randomized Controlled Trial. PLOS ONE, 2016
Bildquelle: von RossHelen